Nazi-Offizier Alois Brunner flüchtet nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von Deutschland nach Syrien. Dort verdingt er sich bei Hafiz al-Assad – dem späteren Staatspräsidenten. Der syrische Autor Ibrahim Aljabin hat diese Geschichte aus halb Fakten und halb Fiktion aufgeschrieben.
Das Buch ist noch eingeschweißt, das mir Ibrahim Aljabin überreicht. Es ist sein neuer Roman, den er jetzt in Deutschland fertig gestellt hat. Seit vier Jahren lebt der syrische Autor und Journalist in Dortmund. Er floh vor dem Krieg und auch sein Roman handelt nun auch von einem Flüchtling: Der Nazi-Offizier Alois Brunner, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Syrien floh und beim Regime Unterschlupf fand. Aljabin nennt ihn das Gehirn.
„Das Gehirn plante Konzentrationslager und Vorrichtungen für Hafiz Al-Assad – der war damals noch Verteidigungsminister. Brunner spielte beim Aufbau des syrischen Sicherheitsapparats in den 1960er-Jahren eine entscheidende Rolle, mit dem Assad später das syrische Volk kontrollierte, wie wir es bis heute sehen.“
Auf 360 Seiten erzählt Ibrahim Aljabin die Geschichte des Deutschen in Damaskus und anderer Personen, die sich im Kern so ereignet haben. Brunner war für seine Menschenjagd auf Juden in der NS-Zeit bekannt und sagte später einer Journalistin am Telefon auf die Frage, ob er etwas bedauere, ja, dass er nicht mehr Juden getötet habe.
„Sein Name war der ´Juden-Jäger` – Alois Brunner. Er war ein enger Freund Hitlers. Brunner setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab – tauchte unter in Essen – arbeitete dort als Kellner in einem Café, besorgte sich die Tarnidentität Georg Fischer, ging dann nach Ägypten und schließlich nach Damaskus. Zuvor ließ er hunderttausende Juden in Europa deportieren und in den Tod fahren, Völkermord.“
Informationen vom syrischen Geheimdienst
Die genauen Verbindungen des Nazis zum Assad-Regime sind aber bis heute nicht vollständig bekannt. Auch der Tod von Alois Brunner wird mit dem Jahr 2010 angegeben, ist aber nicht als gesicherter Fakt zu betrachten. Der syrische Autor Aljabin hat diese und andere Informationen aus einer Quelle des syrischen Geheimdienstes. Ein Name zur Quelle steht auch in seinem Roman, der aus vielen Episoden besteht und immer Realität und Fiktion verschmelzen lässt. Das ist seine Methode. Die Leser sollen selbst nachprüfen, was stimmt.
„Als ich mich dazu entschieden habe, den Roman in dieser Form zu schreiben, wollte ich die Leser gewinnen, indem sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen können, die Leere an einigen Stellen der Geschichte mit ihren Vorstellungen füllen und sich selbst quasi daran beteiligen, indem sie mitdenken.“
Mit diesem Rezept hat der umtriebige Autor Erfolg. Sein Roman „ORIENTIS OCULUS“ erscheint im November 2016 im Verlag des Arabischen Instituts für Studien und Publikationen mit Sitz in Amman und Beirut. Gleich löst er Debatten aus in den arabischsprachigen Medien und findet syrische Leser. Viele waren offenbar müde und gelangweilt vom bisherigen Stil anderer Bücher, sie brauchten etwas, was sie von der Verzweiflung und Totenklage ablenkt.
„Mir wurde gesagt, dass meine Methode und die von Dan Brown ähnlich sind, was für mich als Kompliment gilt. Auch ich habe versucht, die Geheimnisse von alten Orten – bei mir Damaskus – zu finden – und mir selbst welche auszudenken, um dem Ort mehr Bedeutung zu geben.“
Für Ibrahim Aljabin ist Damaskus wie die geheime Geliebte, über die er immer mehr herausfinden will. Eigentlich kommt er aus der anderen Stadt Deir ezzor, aber Damaskus hat ihn verzaubert und auch wenn er jetzt gehen musste, trägt er die Stadt doch immer im Herzen. Das spüren die Leser und können sich so ein positives Bild von Damaskus zurück holen.
„Es ist wichtig für die Deutschen Damaskus vor der Revolution im Auge zu behalten, wie es vor 2011 war, wie und warum es passierte. Die Syrer haben viel erlitten durch Assad, was nicht sofort zu Verwerfungen führte, aber unter der Oberfläche da war: Kulturelles, Religiöses, Unmoralisches.“
Aljabin bedient sich beim römischen Kaiser Julian
Der Titel des Romans verweist auf eine mögliche moralische Instanz für Aljabin: Er bedient sich beim römischen Kaiser Julian, der Damaskus einst „Das Auge des Orients“ nannte – „Orientis Oculus“.
„Julian war eine säkulare Person, der als Abtrünniger bezeichnet wurde, da er den christlichen Glauben aufgegeben hatte. Einige seiner Zitate stehen im Roman, wie etwa: Ist es vernünftig, daran zu glauben, dass die Frau aus der Rippe des Mannes stammt? Ist Gott gewaltbereit? Oberflächlich?“
Das fragte der Römische Kaiser Julian – als er in Syrien gegen die Perser kämpfte. Er starb 363 nach Christus nahe Euphrat und Tigris.
„Unser Gott ist weder gewalttätig noch oberflächlich oder feindselig gegenüber der Frau, unser Gott in Syrien ist unser Verstand. Dies ist, was wir suchen – immer und bisher.“
Der syrische Schriftsteller arbeitet auch gerade mit einem Übersetzer an der deutschen Version seines Romans. Erscheinen soll es im kleinen Londoner Verlag „Dimasheq“ Ende 2017. Ibrahim Aljabin sucht aber auch noch nach einem größeren Verlag in Deutschland. Er will auch hier Erfolg haben – wie so viele Menschen aus Syrien, die jetzt in Deutschland eine neue Identität finden, indem sie sich eine neue Existenz aufbauen.
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