Khaled al Saai fasst die Geschichte Syriens in ein Gemälde. Bald ist es in Berlin zu sehen. Eine Begegnung.
Von Rolf Brockschmidt
„Kalligraphie ist Musik für das Auge“, schreibt Rafik Schami im Nachwort zu seinem Roman „Das Geheimnis des Kalligraphen“. „Mindestens“, entgegnet lächelnd Khaled al Saai, einer der zehn bedeutendsten Kalligrafen der Welt. Als Artist in Residence des Berliner Museums für Islamische Kunst schuf der gebürtige Syrer kürzlich im Mschatta-Saal das zwei mal acht Meter große Gemälde „Syrien – der Garten der Geschichte“, das inzwischen schon im Mschatta-Saal hängt und ab Februar 2019 in die Ausstellung „Kulturlandschaft Syrien. Bewahren und Archivieren in Zeiten des Krieges“ integriert wird.
Das große Bild ist fast fertig, Reste von ausgeschnittenen Fotos liegen auf dem Boden, Tuschepinsel sind zu sehen, es riecht nach Farbe. Hinter einer Absperrung führt al Saai die letzten Korrekturen aus, Museumsbesucher bleiben stehen und versuchen das geheimnisvolle Gemälde zu entziffern.
Er verbindet Kalligrafie und Musik
Khaled al Saai wurde 1970 in Homs geboren und wuchs in einer Künstlerfamilie in Meyadin im Südosten Syriens auf. Seine Familie war bekannt für Kunst und Kalligrafie. Mit vier Jahren hielt er zum ersten Mal einen Stift in der Hand. „Ich imitierte und kopierte die Kunst meines Vaters“, erzählt er, „das half mir, die Augen für die anderen Künste zu öffnen.“ Später zog al Saai nach Damaskus, machte dort seinen Master in Kunst. Einen zweiten Master in Kalligrafie legte er am Research Center for Islamic History and Culture in Istanbul ab. Die Jahre des Studiums von 1990 bis 1997 beschreibt er als intensive Zeit, in der er zusätzlich auch Literatur und Musik studierte. Das lag ihm im Blut.
Seit 2000 arbeitet er mit dem syrischen Musiker Khaled al Jaramani zusammen. Zu den unterschiedlichen Musikstilen, die al Jaramani pflegt, sucht al Saai den passenden Kalligrafiestil. Bei gemeinsamen Auftritten spielt al Jaramani Oud und al Saai schreibt dazu live seine Kalligrafie, die über einen Projektor für das Publikum auf eine Leinwand projiziert wird. Nach al Saais Ansicht muss man die Buchstaben nicht verstehen. „Ich nutze die Buchstaben als Element und befreie sie von ihrer Bedeutung. Ich kann dadurch mit ihnen ohne Sprache spielen.“ So verschwimmen die Grenzen zwischen traditioneller Kalligrafie und moderner Malerei. Seit 2014 geht al Saai einen Schritt weiter und verarbeitet auch Fotos in seinen großformatigen Gemälden.
Auf den ersten Blick ist das große Bild im Mschatta-Saal des Islamischen Museums ein Gewitter aus arabischen Schriftzeichen, die oft Fotos aus Syrien umschlingen und bedecken. Er zeigt darin bedeutende Orte Syriens und ihren Beitrag zum Weltkulturerbe wie etwa Damaskus, Palmyra, Aleppo. Das hochformatige Bild gliedert sich in drei Ebenen, unten die Szenen des alltäglichen Lebens, in der Mitte die bedeutendsten Werke der syrischen Kultur und in der oberen Ebene spirituelle Welten. So steht der große, dekorative Buchstabe Schi mit seinen geschwungenen Bögen und drei Punkten für Damaskus, Schin bedeutet bei den Sufis aber auch Sonne und Licht. Rechts unten im Bild ist dann eine Straße zu sehen, in der seit Jahrhunderten die Geschichtenerzähler leben, so wie Rafik Schami das in seinen Büchern beschreibt.
In der Mitte des Bildes ist Palmyra zu erkennen mit seinem typischen Dekor, dann das erste Alphabet der Menschheit aus Ugarit. „Der Garten ist mein altes Syrien“, sagt der Künstler mit einem gewissen Bedauern. Es ist für ihn der einzige Weg, sich seiner alten Kultur zu vergewissern. Die großen Schriftzeichen symbolisieren die Städte, die kleinen feinen Zeichen stehen für Gedichte.
In einem anderen, noch größeren Bild hat er eine Chronik der syrischen Revolution gemalt, mit Fassbomben und rotem Pfeil, der das vergossene Blut symbolisiert. Die Größe der Ortsnamen gibt das Ausmaß der Kriegsschäden an, so ist Aleppo ziemlich groß geschrieben.
„Kalligrafie war früher ein Treffen mit Gott, man musste vorbereitet sein, innen und außen gereinigt. Die Kalligrafen kleideten sich besonders schön und parfümierten sich, bevor sie schrieben. Die Buchstaben mussten mit großer Konzentration gemalt werden. Kalligrafie ist auch Meditation“, sagt al Saai. Gegenwärtig lebt er in Dubai und Boston, ein drittes Studio in Frankreich ist geplant für ein großes Projekt im nächsten Jahr an der Loire. Der Fluss erinnert ihn an den Euphrat bei Meyadin. Al Saai malt Buchstaben, schneidet sie aus und legt sie ins Gras, fotografiert sie. Oder er malt sie auf Transparentfolie und erweckt sie durch die Sonne zum Leben. Eine Kunst, die keine Grenzen kennt.
Museum für Islamische Kunst, Pergamonmuseum
https://www.tagesspiegel.de/kultur/kalligraphie-ist-ein-treffen-mit-gott-4008706.html